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0.1 Verstehen und Begreifen

0.1.1 Warum heißt die Begriffslogik "subjektiv"?

Die Begriffslogik fasst die Ergebnisse der Analysen der Seinslogik und der Wesenslogik zusammen. Die Methode ist jetzt eine synthetische Rekonstruktion der erarbeiteten Grundformen eines theoretisch gefassten Wissens und ihrer Beurteilung. Daher ist die Begriffslogik subjektiv: Sie wendet sich bewusst zurück 'auf uns selbst', und das heißt auf die konkreten Formen, in denen wir unser Wissen und Begreifen artikulieren und realisieren. Seins- und Wesenslogik heißen dagegen "objektiv", weil ihr Thema der objektstufige Gebrauch, dieser Formen ist. In objektstufiger Rede tun wir so, als sprächen wir unmittelbar über die Welt. Die logische Analyse deckt die Voraussetzungen dieser scheinbaren Unmittelbarkeiten auf, z. B. auch die der in theoretischen Wesenserklärungen der wirklichen Welt geschaffenen neuen Unmittelbarkeiten.

In keiner der drei Disziplinen der Logik, wie Hegel sie versteht, geht es um die Aufstellung eines Logikkalküls. An welche ihrer Ausprägungen wir auch denken, die formale Logik ist immer System von ausdrucksbezogenen Regeln, wie sie wirklich oder vermeintlich in den Artikulationen des Wissens gebraucht werden oder gebraucht werden sollten. Als ein derartiges System ist besonders die aristotelischen Syllogistik Thema der metastufigen Begriffslogik. Die bloß formale Syllogistik bewertet Hegel freilich als langweilig und wenig brauchbar - und geht daher gleich über zur Klassifizierungen allgemeinerer Formen des Schließens, unterscheidet etwa rein qualitativ-syllogistische, reflexionslogische (induktive und analogische) und theoretisch-begriffliche Schlussweisen. Dabei mißbraucht er, wie wir sehen werden, die 'syllogistischen Figuren' ganz bewusst für seine Zwecke, so dass ein Vergleich mit den Überlegungen der 'Analytica prioria' des Aristoteles hier eher in die Irre führt.

Die Begriffslogik ist also eine Art allgemeine 'Theorie' der vernünftigen Beurteilung des Sinns von Systemen des Umgangs mit Zeichen, Bildern, Darstellungen, schematischen Regeln und Theorien, die Hegel unter dem Titel "Verstandesbestimmungen" zusammenfasst. Beurteilt werden die Bedeutungen, und zwar qua Bedeutsamkeiten, in bezug auf Relevanz und Interesse. dass in der Begriffslogik der Begriff zu sich selbst kommt, bedeutet eben dies, dass jetzt der Begriff oder das Begreifen, die konkrete Vernunft, Thema ist, und nicht nur das objektstufige Verstehen oder wesenslogische Erklären. Daher ist schon der Gedanke absurd, die Begriffslogik formalisieren zu wollen: Eine 'dialektische Logik', wie sie G. Günther oder anderen vorschwebt, wäre bestenfalls Thema der Begriffslogik, kann nie ihre Methode sein.

0.1.2 Verstandesbestimmung und Begriff

Begriff bedeutet in der traditionellen Logik im allgemeinen das, was Hegel eine "endliche Verstandesbestimmung" nennt (vgl. dazu auch Hegels Anmerkungen zum § 162), zumeist noch spezieller das, was bei Aristoteles "horos", wörtlich: 'Grenze', heißt: eine Klassifizierung von Gegenständen n einem schon vorgegebenen, in diesem Sinne endlichen, Gegenstandsbereich G. G muss dabei als relativ primäre Klasse oder Gattung, als aristotelisches genos von Gegenständen oder Elementen schon als bekannt unterteilt sein.

Mit der lateinischen Übersetzung des Wortes "horos", dem Wort "Terminus", bezeichnet man üblicherweise den Ausdruck des horos, das Begriffswort, wobei man, allerdings die Regelung seines gemeinsamen Gebrauchs mitmeint. Ein bloßes Wort ist ja nie ein Terminus. Die (formale, schematische) Begrenzung des Gebrauchs eines Terminus durch eine Definition im Rahmen eines schon als bekannt unterstellten Oberbereichs [einer Gattung) heißt griechisch ebenfalls "horos" oder auch "horismos". Ein Begriff bloß an sich oder als prädikative Verstandesbestimmung steht im allgemeinen im Rahmen eines Systems von terminologischen Unterscheidungen, zu denen besonders normative Prädikatorenregeln der folgenden einfachen Art zählen: was "X" genannt werden darf, darf auch "Y" genannt werden oder kürzer: ein X ist ein Y. Ein konkreter Begriff 'an und für sich' dagegen ist die bewusste projektive Beziehung einer Darstellung auf die Realität, unter Einschluss der in diese Beziehung eingelassenen Handlungsorientierungen. Er ist inhaltlich nicht leer, nicht bloße Form, nicht bloß Verstandesbestimmung, aber auch nicht bloß übliche Anwendung der Verstandesbestimmmung. Im Unterschied zum eher passiven 'Auffassen' oder bloßen Verstehen gehört zu jedem vollen Begreifen, dass die Anwendung der begrifflichen Darstellung auf einzelne und besondere Fälle als  freie Handlung begriffen ist, zu der es mögliche Alternativen gibt oder wenigstens geben könnte.

0.1.3 Begreifen als Urteilen

Trotz der Freiheit des Urteilens ist, was wir "Begreifen" nennen, keineswegs dem Belieben, der Willkürentscheidung des Einzelnen überlassen. Jedes Begreifen setzt nämlich ein Verstehen voraus, das Wissen um die Möglichkeilen, wie man einen einzelnen Fall als besonderen Fall eines allgemeinen Typus verstehen kann. Auch Willkürentscheidungen beziehen sich auf diese Möglichkeiten, sonst wären sie keine Entscheidungen. Solange dies noch mehr oder minder implizit geschieht, bleibt der Bezug freilich partiell unbewusst und konventionell. dass der Begriff erst im Urteil zu sich selbst kommt, oder dass der Begriff Urteil ist, bedeutet daher: Erst wenn wir urteilen und zugleich wissen, dass wir dabei eine Wahl aus vorgegebenen oder zuvor von uns selbst entwickelten Verstehensmöglichkeiten treffen, begreifen wir etwas als etwas bewusst und konkret. Wir sind freilich nicht als Einzelne die Herren der uns verfügbaren Möglichkeiten des Verstehens. Nicht wir allein haben diese Möglichkeiten entwickelt.

Die scheinbar autonomen Entscheidungen der Einzelnen fallen oft gerade deswegen ganz konventionell aus, weil sie von vornherein in einem engen und vielfach bloß zufälligen Möglichkeitsspielraum des unmittelbaren 'common sense' getroffen werden. Dies widerspricht dem emphatischen Selbstverständnis der Moderne, der es doch um die Befreiung des Einzelnen von den Dogmen der Tradition geht. Es ist kein Wunder, dass Hegel nicht viele Freunde gefunden hat, als er sich sowohl gegen die Dogmatik jeder metaphysischen Theologie, ja gegen jeden Konservativismus, als auch gegen die Ideologie der Moderne, den Individualismus und den Alltagsverstand, und damit besonders auch gegen einen allzu optimistischen Fortschrittsglauben etwa in den Wissenschaften wendet. Die Einsicht ist eben nicht trivial, dass jede echte Autonomie und Freiheit wesentlich abhängt von der faktischen Entwicklung der Kulturgemeinschaft der Menschen und der bewussten Reflexion auf diese Entwicklung, deren Methode die normative Rekonstruktion der Genese der je faktischen Lebensform und -praxis ist.


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