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Ein Freund Adornos schreibt mir zu dem Artikel über die Moral bei Hegel:

"Schon Lukacs lehnt Moral im herkömmlichen Sinne ab (und ersetzt sie durch ästhetische Erkenntnis) und Adorno übernimmt das im wesentlichen. In der 'Dialektik der Aufklärung' heißt es, dass es kein rationales Argument gegen den Mord gibt."

Und was wäre, wenn diese Argumente selbst wieder zu prüfen wären? Das Problem mit der Aufklärung (einschließlich der "Meta-Aufklärung" von Adorno) ist IMHO, dass sie die bei ihrer Kritik angewandten Maßstäbe selbst nicht genügend reflektiert (Siehe dazu Hösles Artikel Moralische Reflexion und Institutionenzerfall).

Die ganze marxistische Literatur (einschließlich der Frankfurter) betreibt in meinen Augen eine Art geistige Inzucht: man liest / nimmt ernst nur die Schriften von Leuten, die den eigenen (marxistischen) Ausgangspunkt teilen (im verschärften Fall gar nur die des eigenen "Vereins"). Man glaubt sich über die Schriften anderer schon deshalb erhaben, weil sie den eigenen Vorurteilen nicht entsprechen. (Ein Marxist würde es kaum für Vorurteile halten, aber wer hat schon Vorurteile im Bewusstsein, dass es Vorurteile sind) . 

Man belegt das Ganze durch äußerliche Widerlegungen: geschichtliche (veraltet usw.), gesellschaftlich (Klasse), ökonomisch (oder selbst psychologisch / psychoanalytisch beeinflusste) oder gar dogmatisch: Es wird dann kritisiert, dass etwas nicht der Lehre von Marx, Lukas, Adorno oder beliebigen anderen Säulenheiligen entspricht.. Dogmatisch nenne ich das, insofern der Verweis auf die Autorität das Argument ersetzt (welches übrigens, wenn genannt, dann doch nur auf eines der gerade erwähnten äußerlichen Art hinauslaufen würde). Siehe dazu auch: Hegel Hermeneutik und Genese vs. Geltung

Marxismus und Psychoanalyse (und auch die Frankfurter Schule als "Erbin" beider Richtungen) habe wohl u.a. deshalb eine gewisse Attraktivität, weil sie es erlauben, ohne sich tief mit einem anderen Standpunkt auseinander zu setzen, diesen mit einem schnell zu lernenden Werkzeugkasten in Grund und Boden zu kritisieren und sich über den anderen Standpunkt erhaben zu fühlen.

Wenn ich etwas kritisiere, ich also dem Anderen zumute meinen abweichenden Standpunkt anzunehmen, muss ich das doch von mir genauso verlangen (also auch bereits sein, ggfs. vom anderen den abweichenden Standpunkt anzunehmen), das ist ja wohl der (noch nicht hinreichende / ausreichende) Minimalstandard.

Von daher sollte ich bei einer -sinnvollen- Auseinandersetzung mit einem abweichenden Standpunkt (hier also Moral begründenden / begründen-wollenden) vor der Beschäftigung es zumindest für möglich halten, dass hier neue Argumente kommen, oder dass ich vielleicht in meiner bisherigen Perspektive nur zu beschränkt bin, diese wahrzunehmen.

Ich versuche dies übrigens genauso bei dir, nur deshalb wage ich es, dir eine derartige leise Kritik anzubringen, weil auch ich mich bemühe, in dem von dir geschriebenen für mich neues zu entdecken, Überwindungen meiner Beschränktheiten usw.

In dem von Dir anscheinend schon vom Titel her verschmähten Buch:

"Titel wie 'Moral und Politik' überführen ihn. Manchmal scheint es, er habe nicht alles ganz vollständig durchdacht."

stehen übrigens einige Argumente zur Moral drin, in "Hegels System" ja auch (und ich hatte dir ja damals auch einige Literaturhinweise zu Hegel - siehe Primärliteratur und Bücher zu Hegel - gegeben).

Die Argumente Apels (die ich für besser als die von Habermas finde, obwohl sich auch da, trotzt des umständlichen Stil, einige gute Argumente finden lassen) hatte ich (und Hösle) ja bereits erwähnt (du findest Hösles Auseinadersetzung mit Apel in dem sehr lesenswerten und kritischen Buch "Die Krise der Gegenwart und die Aufgabe der Philosophie", jetzt als preiswerte TB-Ausgabe bei C.H.Beck, München, erhältlich).

Auch von dem Neo-Kantianer Prof.Ottfried Höffe (Uni Tübingen, soweit ich weiß), sind sehr gute Bücher zu dem Thema erschienen (in der Reihe STW). Er hat übrigens auch das Werk von John Rawls (Hauptwerk: Eine Theorie der Gerechtigkeit (engl. "A theory of Justice", 1975, stw 271, DM 32,80, ISBN 3-518-27871-1) in Deutschland bekannt gemacht, aber auch kritisiert.

Es ließe sich leicht eine ganze Artikelserie zu dem Thema schreiben, denn du möchtest ja wohl auch jetzt schon inhaltlich von mir auf deine Kritik geantwortet bekommen (gerade wenn ich bei Dir kritisiere, dass du dich nur auf Autoren berufst).

Erst mal ganz kurz, um das "dialogische Prinzip" wieder aufleben zu lassen:

"In der 'Dialektik der Aufklärung' heißt es, dass es kein rationales Argument gegen den Mord gibt."

Das ganze Argument lebt doch von einem inneren Widerspruch, es ist doch nur ein Argument, wenn vorausgesetzt ist, dass Mord schlecht ist (dass es kein rationales Argument gegen das Atmen oder Niesen gibt, wird ja wohl kein Argument gegen die Ratio sein, was aber hier von Adorno in Abwandlung einer Kantischen Argumentationsfigur offensichtlich versucht wird). Dies sollte dann aber auch begründet werden, oder?

Oder anders gefragt, wie hältst du es denn mit dem Mord? Und falls du dagegen sein solltest, wie begründest du das? Nur mit ästhetischen Argumenten (das viele Blut macht alles so dreckig, da wird mir übel?).

Gerade eine kritische Theorie, die sich nicht einfach umstandslos auf die geltenden Maßstäbe berufen will, der die herrschenden Maßstäbe suspekt sind (Auch ein Vorurteil übrigens, nur andersherum, wenn es nicht tragfähig begründet wird), wird doch wohl ihre abweichenden Maßstäbe begründen wollen? Und man / frau wird -zurecht- (nicht zu letzt aus der praktischen Not heraus, des Andere-überzeugen-Müssens, wenn man / frau auf praktische Konsequenzen aus ist) höhere Maßstäbe an die Begründung eines abweichenden Maßstabes legen.

Eine Kritik die das nicht tut, die erhebliche Voraussetzungen macht, die man teilen muss, um die Kritik zu bejahen, ist, so radikal sie sich gebärden mag, eine schwache Kritik (denn warum sollten andere diese Voraussetzungen teilen?).

Noch eine Nachbemerkung zur Moral:

Warum tust du das was du tust? Warum gefällt dir z.B. Adorno? Warum studierst du Philosophie? Warum gefällt dir der Marxismus? Warum hältst du unsere Gesellschaft für kritisierenswert?

Und für jeden Maßstab, den du anbringst, könnte ich wieder weiterfragen: "Und warum das?".

Ist es nicht widersprüchlich, eine radikale Kritik an dem Bestehenden vorzutragen und selbst bei den Fragen nach den letzten Grundlagen dieser Kritik ins bodenlose zu versinken?

Mit eben dieser Begründung der letzten Maßstäbe beschäftigt sich die Moral. Hegel hat diese, wie immer, nur in ihrer unvollkommenen Form kritisiert, und die Begründungen vertieft (wie schon in dem Artikel mit den Quellen zu Hegels Moralphilosophie beschrieben, ist es eine unzulässige Verkürzung zu glauben, dass Hegel die Fragen der Moral nur in dem Moralität überschriebenen Kapitel der Rechtsphilosophie bzw. des Abschnittes über den objektiven Geist in der Enzyklopädie behandelt. Siehe besonders 5d (Peperzak) und 6c (Wood) in der Bibliographie. Hösle nimmt in "Hegels System" nicht alle dort genannten Argumente / Begründungen auf (sein Werk erschien ja zeitlich vorher), aber er versucht dafür in seiner "intersubjektivistischen" Kritik Hegels, diese Fragen noch viel grundlegender (über die Logik) zu begründen.

Und welche Alternative siehst du zu einer Begründung der eigenen Beweggründe, der eigenen Tätigkeit, der eigenen Kritik ?


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